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Covid-19: schützt Vitamin D vor schweren Corona-Verläufen?

Vitamin-D-Mangel und Covid-19: welche Bedeutung hat Vitamin D für den Verlauf eine Corona-Infektion? Unser Wissenschaftsautor Dr. med. Michael Nehls mit dem Schwerpunkt Immunologie beleuchtet in diesem Artikel den Forschungsstand.

Was sind mögliche Ursachen für einen schweren Krankheitsverlauf?

Bild: CC0 / Fusion Medical Animation / Unsplash

Nur wer die Ursache einer Krankheit kennt, kann sie heilen oder effizient vorbeugen. Bei viralen Infekten scheint die Frage nach der Ursache sofort beantwortet zu sein: Es ist das Virus. Doch ist die Antwort tatsächlich immer so einfach? Für Ebola vermutlich ja, denn dort kann eine Infektion bei bis zu 90 Prozent der Fälle tödlich enden, und das weitgehend unabhängig von den Umständen.1 Bei der Corona-Pandemie jedoch war von Anfang an auffällig, dass es nicht bei allen Infizierten zu schweren Verläufen kam.2 Dass eine Mehrzahl der Corona-Infektionen harmlos verläuft, bescheinigt dem Virus eine geringe Virulenz (Gefährlichkeit). Es ist also wahrscheinlich, dass es einen virusunabhängigen Grund gibt, weshalb eine Infektion mit Corona nur bei wenigen Menschen schwer verläuft oder tödlich endet.

Corona und Vitamin D

Zwei Phänomene helfen uns bei der Suche nach einer Antwort. So fiel kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie auf, dass die Zahl der Infektionen und die Schwere der Krankheitsverläufe mit der zunehmenden Kürze der Tage im Winter stiegen. Dies war ein erster Hinweis auf den winterlichen Mangel an Sonnenlicht (UV-B-Strahlung) und die dadurch reduzierte Eigensynthese an Vitamin D als mögliche Ursache.3 Deshalb brachten Hormonspezialisten schon im Februar 2020 die Covid-19-Sterberate in Italien mit einem Vitamin-D-Mangel in Verbindung und schlugen eine rasche Supplementierung vor.4 Tatsächlich ist Vitamin D nicht nur ein essentieller Mikronährstoff für die Knochengesundheit, sondern auch wesentlich für ein gut funktionierendes Immunsystem.

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Zusammenhang zwischen Zytokinsturm und Corona

Ein weiteres Phänomen ist der sogenannte Zytokinsturm. Als Zytokine werden hunderte verschiedener Botenstoffe bezeichnet, mit denen unser Immunsystem sich selbst reguliert. Manche Zytokine sind entzündungsfördernd, also proentzündlich. Sie mobilisieren unsere Immunabwehr. Andere wiederum sind entzündungshemmend, also antientzündlich. Sie beenden die immunologische Reaktion, sobald die schädlichen Mikroorganismen vernichtend geschlagen wurden. Dies gewährleistet, dass die Entzündung nicht chronisch weiter- und aus dem Ruder läuft. Eine gesunde Balance zwischen den gegensätzlich agierenden Zytokinen ist somit wichtig, damit wir trotz immer wieder neuer Infektionen weder schwer noch dauerhaft erkranken.

Bild: CC0 / Mojpe / Pixabay

Schon bei der saisonalen Grippe wurde vor Jahrzehnten erkannt, dass die Schwere der klinischen Verläufe in direkter Beziehung steht zur Menge der durch das Immunsystem freigesetzten proentzündlichen Zytokine.5Komplikationen oder gar der Tod infolge dieser Infektionen sind häufig mit einer Überproduktion proentzündlicher Zytokine verbunden, was man als ‚Zytokinsturm‘ bezeichnet.“, schrieben chinesische Wissenschaftler im Jahr 2016.6

Auch bei den ersten Covid-19-Fällen in Wuhan entdeckte man eine enge Wechselbeziehung zwischen der Menge an freigesetzten proentzündlichen Zytokinen und der Schwere der Krankheitsverläufe.7 Ein durch das Immunsystem ausgelöster Zytokinsturm wurde dabei als der gemeinsame Nenner aller schweren und tödlichen Corona-Infektionen erkannt.8 In dem Artikel „Den Zytokinsturm bei Covid-19 verstehen: Beitrag bereits bestehender chronischer Entzündung“ wurde darauf hingewiesen, dass „der Zytokinsturm bei schweren Covid-19-Verläufen eher aus der Entzündung resultiert, als aus dem Virus selbst.9

Die Frage drängt sich auf: Könnten nicht beide Phänomene durch einen saisonalen Mangel an Vitamin D erklärt werden? Führt eine mangelbedingte Fehlsteuerung des Immunsystems zu einer in den Wintermonaten erhöhten Infektionsrate und zugleich zu einer übermäßigen und unkontrollierten Freisetzung von proentzündlichen Zytokinen – dem Zytokinsturm – mit der Gefahr schwerer, lebensbedrohlicher bis tödlicher Verläufe?

Mehr zum Thema Zytokinsturm finden Sie in unserem Interview "Corona – wirksamer Schutz mit Vitalstoffen?" mit Dr. med. Michael Nehls.

Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und Corona

Wir wissen, wie wichtig eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D für unsere immunologische Gesundheit ist. Dies gilt insbesondere beim Verhindern schwerer Covid-19-Verläufe. Dazu gibt es fünf unterschiedliche Untersuchungsansätze:

1. Beobachtungsstudien zu Vitamin D und Corona

Ein Vitamin-D-Spiegel unter 50 nmol/l (verglichen mit einem darüber) erhöhte laut den Ergebnissen einer belgischen Studie das Risiko, an Corona zu sterben, um etwa das Vierfache, und zwar unabhängig vom Alter der Patienten oder ihren Vorerkrankungen.10 Bei Werten unter 30 nmol/l, so das Ergebnis einer Studie des Uniklinikums Heidelberg, erhöhte sich das Risiko eines tödlichen Krankheitsverlaufs sogar um das etwa Achtzehnfache.11 Es scheint also eine Beziehung zwischen Vitamin-D-Mangel und der Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Zytokinsturms zu geben. Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) berechneten, dass eine rechtzeitige Korrektur des Vitamin-D-Spiegels neun von zehn Menschen vor einem tödlichen Verlauf schützen würde.12 Internationale Experten machten zudem im April 2020 darauf aufmerksam, dass „der Grad des Schutzes ansteigt, wenn der Vitamin-D-Spiegel ansteigt“.13 Laut den Wissenschaftlern sollte es das Ziel sein, „die Vitamin-D-Spiegel auf 100 bis 150 nmol/l zu bringen“, weil dies mit der besten Immunabwehr einhergehe.

2. Immunologische Schutzwirkungen von Vitamin D

Bild: CC0 / cdc / Unsplash

Ein wesentlicher Mechanismus, der einen Zytokinsturm wahrscheinlicher macht, ist eng mit dem sogenannten Spike-Protein des Coronavirus verknüpft. Das Spike-Protein ist der Teil der Zacken auf der viralen Krone („Corona“), mit der Coronaviren sich an einen Rezeptor auf der Oberfläche unserer Körperzellen binden, um in sie einzudringen und sich zu vermehren. Dieser Corona-Rezeptor, ACE2 genannt, verliert durch Bindung an das Spike-Protein seine normale Funktion, pro- und antientzündliche Zytokine im Gleichgewicht zu halten.14 Es entsteht ein Überschuss proentzündlicher Zytokine. Vitamin D sorgt unter anderem dafür, dass unsere Zellen mehr ACE2 bilden, was einem durch das Spike-Protein verursachten ACE2-Funktionsverlust und einem Zytokinsturm entgegenwirkt.15

 

Gut zu wissen

Der Vitamin-D-Spiegel wird, je nach Labor, in unterschiedlichen Einheiten angegeben: in Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) oder in Nanomol pro Liter (nmol/l). Dabei entspricht 1 ng/ml etwa 2,5 nmol/l. Die Wirkstoffmenge wird meist in internationalen Einheiten (IE) angegeben. Unserem Knochensystem genügt ein Vitamin-D-Spiegel von etwa 50 nmol/l. Das Immunsystem benötigt mit etwa 125 nmol/l deutlich höhere Werte. Um den Vitamin-D-Spiegel um etwa 1 nmol/l anzuheben, muss ein Erwachsener bei mangelnder UV-B-Strahlung täglich 50 IE einnehmen.16

3. Interventionsstudien zu Vitamin D und Corona

Bild: CC0 / ckstockphoto / Pixabay

In einer Interventionsstudie wird ein Wirkstoff verabreicht (interveniert) und der Effekt gegenüber einer Kontrollgruppe verglichen. Bei 76 Covid-19-Patienten einer spanischen Studie war die Lungenentzündung schon so weit fortgeschritten, dass sie ins Krankenhaus aufgenommen wurden, aber noch nicht so weit, dass sie schon beatmet wurden oder auf die Intensivstation mussten.17 Alle Patienten erhielten gemäß dem Klinikprotokoll die beste verfügbare Therapie. Direkt am Tag der Aufnahme wurden die Patienten nach dem Zufallsprinzip im Verhältnis zwei zu eins in zwei Gruppen verteilt. Die 50 Patienten umfassende Interventionsgruppe erhielt etwa 21.000 IE des Vitamin-D-Prohormons. Dieses hat gegenüber Vitamin D3 den Vorteil, dass ein Umwandlungsschritt wegfällt und so die Wirkung sofort einsetzen kann.

Danach erhielt die Interventionsgruppe bis zum Tag der Entlassung jeweils zweimal pro Woche die Hälfte dieser Menge. Die 26 Patienten umfassende Kontrollgruppe hingegen erhielt weder Vitamin D3 noch Vitamin-D-Prohormon. Aus der Interventionsgruppe verschlechterte sich nur ein Patient und musste auf die Intensivstation verlegt werden. Das entsprach einer Rate von zwei Prozent. Bei 13 Personen aus der Kontrollgruppe aber verschlimmerte sich die Symptomatik derart, dass sie intensivmedizinisch betreut werden mussten. Das entsprach einer Rate von 50 Prozent. Der Unterschied von Faktor 25 bei der Wahrscheinlichkeit, einen schweren Covid-19-Verlauf zu erleben, war statistisch hochsignifikant. Es ist somit wahrscheinlich, dass der klinische Erfolg auf die therapeutische Intervention mit Vitamin-D-Prohormon zurückzuführen war. Anzumerken ist auch, dass kein Patient der größeren Interventionsgruppe starb, aus der Kontrollgruppe starben jedoch zwei. Das waren etwa acht Prozent.

4. Studien und vergleichende Meta-Analysen

Bild: CC0 / Richardkhuptong / Pixabay

Drei deutsche Wissenschaftler stellten sich die Frage, ab welchem Vitamin-D-Spiegel so gut wie keine schweren Verläufe mehr zu erwarten wären. Sie veröffentlichten das Ergebnis ihrer Studie unter dem Titel: „Covid-19-Sterberisiko korreliert umgekehrt mit dem Vitamin-D3-Status, und eine Sterblichkeitsrate nahe Null könnte theoretisch bei 125 nmol/l erreicht werden: Ergebnisse einer systematischen Überprüfung und Meta-Analyse“.18 Ab einem Schwellenwert von 75 nmol/l sank das Risiko erheblich, an einer Corona-Infektion zu sterben, und reduzierte sich statistisch auf null bei etwa 125 nmol/l. „Statistisch“ deshalb, weil man bei diesem Vitamin-D-Spiegel zwar mit größter Wahrscheinlichkeit keinen Zytokinsturm mehr erlebt, aber bei schweren Vorerkrankungen und bei möglicherweise sehr hohem Alter schon ein leichter Schnupfen für manche Menschen lebensgefährlich werden kann. Ein Sterberisiko von tatsächlich null ist leider keinem vergönnt. Zudem könnten in der klinischen Praxis manche Menschen zusätzliche gravierende Mängel an anderen essentiellen Mikronährstoffen haben, die das Immunsystem in seiner Funktion behindern.

5. Studien zum Corona-Infektionsrisiko

Bild: CC0 / Anna Shvets / Pexels

Unser Immunsystem kann nicht verhindern, dass wir uns infizieren, ebenso wenig wie Airbags in unserem Auto verhindern können, dass wir von einem anderen Auto angefahren werden. Doch unser Immunsystem kann wie ein Airbag dafür sorgen, dass wir bei Gefahr keinen größeren Schaden nehmen. Die Fähigkeit unseres Immunsystems, Viren zu erkennen, zu eliminieren und sich an sie zu erinnern, ist jedoch davon abhängig, ob ihm genügend Vitamin D zur Verfügung steht: zum einen, um angemessen auf Eindringlinge reagieren zu können und keinen Zytokinsturm zu entfachen. Zum anderen, um infektiöse Mikroorganismen effizient eliminieren zu können.19 Entsprechend belegen Beobachtungsstudien20 und Interventionsstudien21, dass höhere Vitamin-D-Spiegel von ebenfalls etwa 125 nmol/l das koronare Infektionsgeschehen (gegenüber dem niedrigen Spiegel in unserer Bevölkerung) um bis zu Faktor 3 reduzieren. Die Behebung des winterlichen Vitamin-D-Defizits wäre also eine Maßnahme, um die virale Ausbreitung zu hemmen beziehungsweise die Infektionszahlen zu senken.

Vitamin-D-Mangel ist der häufigste Nährstoffmangel und wahrscheinlich die häufigste Krankheitsursache der Welt,“ schrieb der Vitamin-D-Experte Michael F. Holick im Jahr 2012. Laut Holick ist „die Hauptursache die mangelnde Erkenntnis, dass der Körper eine fünf- bis zehnfach höhere Zufuhr benötigt, als von Gesundheitsbehörden empfohlen wird“.22

Vitamin D: die wichtigsten Argumente und Gegenargumente zur ausreichenden Prophylaxe

Bild: CC0 / PublicDomainPictures / Pixabay

Aussage: "Vitamin D wirkt nicht"
Diese Aussage beruht meist auf einer Studie aus Brasilien: Bei Covid-19-Patienten brachte eine einmalige Gabe von Vitamin D3 gegenüber einer Kontrollgruppe keine statistisch signifikante Verbesserung, was den Ergebnissen der zuvor besprochenen spanischen Studie zu widersprechen scheint.23 Doch hierfür gibt es zwei plausible Erklärungen. So bekamen die Patienten der spanischen Interventionsgruppe Vitamin-D-Prohormon, die Patienten der brasilianischen Studie hingen Vitamin D3, dessen Wirkung um mehrere Tage verzögert einsetzt.24 Da der Vitamin-D-Spiegel in der brasilianischen Studie erst bei Entlassung gemessen wurde, bleibt völlig unklar, ob er sich noch während der Therapie ausreichend erhöht hatte. Bei den Patienten der spanischen Studie hingegen wurde dafür gesorgt, dass sich deren Vitamin-D-Spiegel sofort erhöhte und durch Mehrfachgaben auch hoch blieb. Aufgrund der derzeitigen Studienlage lässt sich sagen, dass die mehrfache Verabreichung von Vitamin-D-Prohormon auch dann vor einem schweren bis tödlichen Krankheitsverlauf schützt, wenn Covid-19 schon so weit fortgeschritten ist, dass eine stationäre Aufnahme nötig wurde. Eine einmalige Gabe von Vitamin D3 hingegen nutzt in diesem ernsten Stadium nicht mehr oder kommt zu spät. Das belegte eine französische Studie25, die gleichzeitig aber auch zeigt, dass Vitamin D3 präventiv wirkt.

 

Aussage "Vitamin D ist gefährlich"
In vielen ärztlichen Praxen wird eine Vitamin-D-Einnahme erst bei beginnender Osteoporose empfohlen, weil es unter anderem eine erhöhte Kalziumaufnahme im Darm stimuliert. Doch zusammen mit der zusätzlichen Empfehlung einer kalziumreichen Ernährung kann diese Kombination zu schädlichen Kalziumablagerungen in Blutgefäßen und Nieren führen.

Besser, als für eine künstlich erhöhte Zufuhr an Kalzium zu sorgen, wäre es jedoch, zusätzlich zur Vitamin-D-Gabe einen eventuell unzureichenden Vitamin-K2-Spiegel zu korrigieren. Wie Studien zeigten, ist nicht ein Vitamin-D-, sondern ein Vitamin-K2-Defizit verantwortlich für das sogenannte „Kalzium-Paradoxon“, das durch eine verminderte Kalziumablagerung in den Knochen bei gleichzeitig erhöhter Anreicherung in den Blutgefäßwänden gekennzeichnet ist.26Dieses Wissen ist jedoch in der medizinischen Fachwelt noch nicht weit verbreitet und veraltete Warnungen vor den Risiken einer Vitamin-D3-Überdosierung leider immer noch häufig im Umlauf", so die Autoren der zuvor genannten Meta-Analyse, die für eine höhere, ausreichende Vitamin-D3-Zufuhr plädieren. Die Folge dieser weitgehend unbegründeten Sorge unter den Ärzten ist jedoch eine Vitamin-D3-Unterversorgung der Patienten.

 

Fazit
Eine Vielzahl von Studien weist darauf hin, dass es sich bei schwerem Covid-19 oft um eine Vitamin-D-Mangelkrankheit handelt, weshalb es auch, solange dies nicht anerkannt wird, weiterhin zu Infektionen mit schweren Verläufen kommen dürfte. Denn kein Medikament kann einen Mangel an einem essentiellen Mikronährstoff wie Vitamin D ausgleichen. Es liegt nahe, nicht nur auf wiederholte Impfungen zu setzen, sondern auch die immunologische Gesundheit in der Gesamtbevölkerung zu stärken, die nicht zuletzt auf guten Vitamin-D-Werten basiert.

 

Text: Dr. med. Michael Nehls
Titelbild: CC0 / Dua Chuot / Pexels