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Das Immunsystem: Barriere zu unserem Schutz

Neue Viren, Pandemien, Antibiotika-Resistenzen – unser Immunsystem wird immer stärker gefordert. Wer mehr über die Funktion und das komplexe Zusammenspiel der Darmflora und anderer Barrieren in unserem Körper weiß, was sie schwächt, was sie stärkt und welche Rolle unsere Ernährung dabei übernimmt, kann sich besser schützen und seine Gesundheit stärken.

Wie funktioniert unser Immunsystem

Beim Immunsystem handelt es sich um ein äußerst komplexes Wunderwerk, in dem die unterschiedlichsten Faktoren zusammenwirken. Die Grundausstattung, mit der wir auf die Welt kommen, besteht aus weißen Blutkörperchen. Diese angeborene unspezifische Abwehr richtet sich gegen alles, was als körperfremd eingeordnet wird. Dazu kommt die spezifisch erworbene Immunantwort mit eigens gegen bestimmte Erreger gebildeten Antikörpern, die sich im Laufe des Lebens ständig weiterentwickelt.

Von entscheidender Bedeutung sind zudem sowohl die Barrieren und Grenzflächen im Körper, die unser Inneres vom Äußeren trennen und schützen, als auch das Mikrobiom, allen voran das Mikrobiom im Darm, auch Darmflora genannt. Unser Immunsystem wird jedoch von wesentlich mehr Dingen geschwächt und gestärkt, als vielen bewusst ist. Jeder Kontakt mit der Umwelt, jede Infektion, was wir essen und ob wir uns bewegen, unser Schlafverhalten oder Stress und Sorgen haben einen Einfluss auf unser Immunsystem.

Die Darmflora, also die für uns lebensnotwendige Gemeinschaft aus Bakterien, Viren und Pilzen, wird vom Immunsystem unermüdlich gepflegt. So sorgt es dafür, dass die Keime des Mikrobioms nur dort siedeln, wo sie siedeln sollen, und es bekämpft alle Krankheitserreger und negativen Einflüsse, die pausenlos auf den Körper einprasseln.

Das Mikrobiom

Immunsystem: Barrieren zu unserem Schutz: Mikrobiom und Darmflora. Zu sehen ist ein Bauch von einer schlanken Frau, die ihre Hände in die Hüfte stemmt
Bild: CC0 / Karolina Grabowska / Pexels

Mensch und Mikrobiom bilden ein gemeinsames Ökosystem, das sich ständig verändert und dennoch eine Grundstabilität hat. Die Gesundheit unserer Mikrobengemeinschaft lässt sich dabei nicht von unserer allgemeinen Gesundheit trennen, denn in einem kranken Körper kann kein gesundes Mikrobiom florieren. Geht es den Mikroben schlecht, beeinträchtigt dies auch den Wirt, also uns.

Die Arbeit des Mikrobioms beginnt schon, bevor wir das Licht der Welt erblicken. Sie ist eine lebenslange Aufgabe, deren Erfolg nicht nur über die Schutzkraft unserer Abwehrkräfte bestimmt, sondern auch darüber, ob das Immunsystem für oder gegen uns arbeitet. Dabei ist der Einfluss der vielen natürlicherweise ins uns lebenden Keime weit größer als die Krankheitserreger, denen wir hin und wieder begegnen.

Das Mikrobiom hat eine unersetzliche Funktion, denn es bildet unser Immunsystems aus. Im Austausch mit der Darmflora lernt unsere Abwehr, Erreger entweder zu tolerieren oder zu attackieren, um uns so vor äußeren Gefahren zu schützen. Vor allem im Darm wird unser Organismus ständig mit körperfremden Bakterien und Viren konfrontiert, die mit der Nahrung unvermeidlich aufgenommen werden. Deshalb gruppieren sich rund 80% unseres Immunsystems um den Verdauungstrakt.

Wie entsteht das Mikrobiom?

Der Start in die Welt und die ersten 1000 Tage im menschlichen Leben bestimmen, ob sich Mikrobiom und Immunsystem vertragen – und natürlich, wie erfolgreich das Immunsystem krankmachende Keime abwehren kann.

  1. Naht der Geburtstermin, nehmen mütterliche Abwehrzellen besonders gesunde Darmbakterien auf und transportieren sie über den Blutstrom zum Darm des ungeborenen Kindes. So bekommt das Kind eine Topauswahl von Darmbakterien mit auf den Lebensweg, die schon mit der Mutter gut harmoniert haben. Inklusive ist aber auch viel mütterliche Biografie, also die in die Biologie des Mikrobioms eingeschriebenen Erfahrungen und Anpassungsreaktionen, Stärkendes, aber auch Belastendes.
  2. Beim Weg durch den Geburtskanal gelangt die Scheidenflora der Mutter an den Mund des Babys und weiter in den noch spärlich besiedelten Darm. Die in der Scheidenflora reichlich vorhandenen Milchsäurebakterien passen ideal zur Milchnahrung. Muttermilch enthält sogar ein Präbiotikum, ein Spezialfutter für bestimmte Stämme, besonders die Bifidobakterien.
  3. Nach drei Jahren ist die Darmbesiedelung des Menschen ausgereift und sein Mikrobiom „erwachsen“.

Wichtige Barrieren zu unserem Schutz

Unser Körper verfügt über Schutzwälle, die eine enorme Rolle für die Abwehr von Erkrankungen spielen; die Haut, die Schleimhäute und die die Blut-Hirn-Schranke. Von Natur aus sind diese Barrieren innerhalb des Körpers stark, doch immer häufiger geschieht es, dass sie porös werden. Keime und Allergene können dann leichter eindringen und das Immunsystem zwingen, sie zu bekämpfen.

Damit sich eine Allergie oder eine Autoimmunerkrankung entwickelt, müssen mehrere Faktoren zusammenkommen; eine offene Barriere, eine genetische Disposition, ein krankhaft verändertes Mikrobiom und ein Trigger, der das Immunsystem so lange und wiederkehrend reizt, bis es überreagiert. Oft sind diese Trigger jedoch nicht bekannt, die schließlich zu einer gefährlichen Attacke auf das eigene Gewebe führen.

Auch dieser fatale Lernprozess des Immunsystems findet offenbar oft im Darm statt. So ist beispielsweise bei den Immunzellen, die bei Diabetes Typ 1 die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse attackieren, die Herkunft aus dem Darm bereits nachgewiesen.

Leaky Gut: wenn der Darm undicht wird

Immunsystem: Leaky Gut. Zu sehen ist eine Frau, die sich ihre Hände auf dem Bauch hält
Bild: CC0 / Kindel Media / Pexels

Früher dachten Wissenschaftler, dass die Darmschleimhaut eine dichte Barriere sei, die Bakterien und Fremdeiweiß auf der Innenseite des Verdauungsorgans hält. Inzwischen zeigen neueste Forschungen: der „Leaky Gut“, also der undichte Darm, ist an vielen Erkrankungen mit überschießender Reaktion des Immunsystems beteiligt. Die Schleimhaut, die nur eine Zelle dick ist, ist nämlich zwischen den einzelnen Zellen nicht undurchdringlich. Stattdessen sind dort Tore (sogenannte Tight Junctions), die sowohl geöffnet als auch verschlossen werden können.

Bei vielen Menschen mit Allergien und Autoimmunerkrankungen sind diese Tore für einen langen Zeitraum weit geöffnet. Dadurch ist Ihre Barriere besonders durchlässig. So können Fremdeiweiß und Bakterien ungehindert passieren. Das führt wiederum zu einem dauerhaften Alarmzustand im Darm, da die Abwehrzellen im Bereich der Grenzschicht nun versuchen, Fremdeiweiß oder Bakterien schnell loszuwerden. Treten immer wieder die gleichen Stoffe über (zum Beispiel Erdnusseiweiß oder Gluten) beginnt das Immunsystem, speziell dagegen Antikörper zu bilden. Das beschleunigt die Beseitigung der „Eindringlinge“. Dabei wird zusätzlich die Entzündungs- und Immunreaktion stark angeheizt. Das Immunsystem wird so quasi darauf trainiert, schon auf kleine Mengen des Antigens heftig zu reagieren. So entsteht eine Allergie gegen an sich harmlose Substanzen, die heftige Beschwerden bereiten kann.

Leaky Gut und Gluten

Noch schlimmer wird ein Leaky Gut, wenn ein ungesund verändertes Mikrobiom die Tore zwischen den Schleimhautzellen im Darm noch öfter aufschließt. Dadurch kann noch mehr Fremdmaterial wie beispielsweise Gluten in den Organismus einströmen. Normalerweise werden Eiweiße nämlich von den Verdauungsenzymen bereits in ihre Einzelteile, die Aminosäuren, zerlegt. Gluten (also das Klebereiweiß in Weizen, Roggen und Gerste) ist jedoch so konstruiert, dass es den Aufbrechversuchen widersteht.

Zudem passt Gluten wie ein Schlüssel genau auf die Schlösser der Tore. Damit verschafft es sich einen direkten Zugang in den Organismus. Normalerweise wird durchsickerndes Gluten problemlos von den Immunzellen aufgesaugt. Sie behandeln das Klebereiweiß wie Bakterien und beseitigen es. Hat sich das Mikrobiom jedoch so verändert, dass der Einstrom von Antigenen durch die Darmschleimhaut nicht nachlässt, bereitet die Zufuhr von Gluten aus Brot und Nudeln bei bis zu 7% der Bevölkerung Probleme. Sie bekommen durch die Zusatzbelastung mit dem verdauungsresistenten Getreideeiweiß eine sogenannte Glutensensitivität, die mit einer verschärften Entzündungsreaktion im Darm einhergeht.

Hautmikrobiom: wenn die Hautbarriere schwächelt

Hautmikrobiom: zu sehen ist die Schulter einer jungen Frau
Bild: CC0 / Valeria Smirnova / Unsplash

Das Hautmikrobiom ist natürlicherweise das wohl artenreichste Mikrobiom unseres Körpers. Doch auch hier schwindet mit der zunehmenden Verstädterung die Vielfalt dramatisch. Das zeigt sich unter anderem in der Zunahme des atopischen Ekzems, der Neurodermitis. Bei dieser allergischen Hauterkrankung ist die Haut typischerweise extrem trocken.

Ein gesundes Mikrobiom findet damit nicht das passende Milieu, um zu gedeihen. Dadurch kann es den Säureschutzmantel nicht optimal aufbauen, und es entsteht ein Biotop für problematische Keime, während nützliche Bewohner der Hautflora an den Rand gedrängt werden. Weil die Barriere nicht mehr gut funktioniert, dringen Bakterien und Fremdeiweiße tiefer in die Haut ein. Darauf reagiert das Immunsystem mit einer heftigen überschießenden Reaktion. Die Neurodermitis beginnt zu blühen.

Nasenschleimhaut: wenn der Schutz nicht ausreicht

Auch eine Erkältung entsteht oft aufgrund einer – vorübergehenden – Barrierestörung. Manchmal braucht es dafür nicht einmal die Attacke eines neuen Virus. Auf der Schleimhaut von Nase und Bronchien sind nämlich meist schon problematische Viren vorhanden, die nur auf ihre Chance warten. Und diese kommt schon, wenn die Schleimhaut der Nase schlechter durchblutet ist. Dann wird dort weniger Schleim produziert, der normalerweise dafür sorgt, dass Erreger abrutschen und sich kaum an den Körperzellen festhaften können, in die sie eindringen möchten.

Vor allem im Winter kommen zahlreiche weitere Faktoren dazu, die das Risiko für Infektionskrankheiten erhöhen. Die Heizungsluft trocknet die Schleimhäute aus und der vermehrte Aufenthalt in Innenräumen mit geschlossenen Fenstern und oft auch noch erkälteten Mitmenschen erhöht die Virenlast. Dazu kommt ein Abfall des Vitamin-D-Spiegels, weil die Tage kürzer werden. Vitamin D erhöht die Bildung von Cathelicidin, einem körpereigenen Antibiotikum, das schädliche Bakterien, Viren und Pilze aufsprengen kann.

Störung der Blut-Hirn-Schranke

Symbolbild für die Blut-Hirn-Schranke
Bild: hainguyenrp / Pixabay

Die Schutzbarriere des Gehirns, die Blut-Hirn-Schranke, ist ähnlich aufgebaut wie die Darmbarriere. Diese hochspezifische, aus drei Schichten zusammengesetzte Membran zwischen Blutstrom und Hirnsubstanz kontrolliert den Stoffaustausch in Gehirn und Rückenmark. Sie schützt das besonders empfindliche Gehirn vor Krankheitserregern. Bei Erkrankungen wie Autismus und Alzheimer ist diese Barriere nachweislich gestört. Der Zustand dieser Barrierefunktion kann sogar eine vorübergehende Vergesslichkeit verbessern oder verschlechtern.

Hier finden Sie 11 gute Tipps, wie Sie Ihr Immunsystem natürlich stärken können.

 

Text: Golo Willand

 

Warum unser Immunsystem in Zukunft immer mehr Herausforderungen meistern muss und wie genau das Mikrobiom funktioniert, können Sie in Ausgabe 06/21 von natürlich gesund und munter lesen.