string(61) "assets/images/e/221_Im_Gespraech_Straube_600x600-bef920b1.jpg"

Was Frauen leisten und niemand sieht

Martin Straube
Nach Stationen an der Filderklinik bei Stuttgart, der anthroposophischen Klinik Öschelbronn bei Pforzheim in der Versorgung von HIV-Patienten sowie als Schularzt und Dozent im Ruhrgebiet zog der gebürtige Bremer in die Nähe von Hamburg, wo er seine Praxis betreibt. Martin Straube hält Vorträge zu medizinischen, pädagogischen und Themen der Kunst und gründete zusammen mit seiner Frau Minka das Internationale Institut für Notfall- und Traumapädagogik.

 

Ja, viele Männer helfen heute im Haushalt. Aber das ist zu wenig, solange sie es ihrer Frau überlassen, die Ansprüche von Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.

Die Emanzipationsbewegung hat viel erreicht, aber ausgerechnet in Partnerschaft und Familie sind die Aufgaben bis heute oft ungleich verteilt: Familiäre Fürsorge, Kindererziehung und Organisation des Haushalts gelten bis heute als Sache der Frauen – zusätzlich zur Berufstätigkeit. Warum ist dies selbst in Beziehungen so, in denen beide sich als gleichberechtigt verstehen? Dahinter steckt ein althergebrachtes Rollenbild. 1882 hieß es in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“: „Schön, interessant, ja bezaubernd kann auch ein ­gefallsüchtiges Weib sein, liebenswürdig nur ein selbstlos bescheidenes … es wird ewig wahr bleiben, dass innige Hingabe und Aufgehen in den Interessen ­Anderer ein Vorzug – nicht eine Schwäche! – der Frau ist.“ So würde heute niemand mehr reden, aber die Idee dahinter wirkt nach. Die Folge ist eine permanente (Selbst-)Überforderung. „Mental Load“ wird dieses Phänomen genannt. Der Arzt und Therapeut Martin Straube plädiert dafür, dass Männer mehr Problembewusstsein entwickeln.

 

natürlich gesund und munter: Herr Straube, ist der progressive Mann des 21. Jahrhunderts ein verkappter Pascha, der sich bedienen lässt?
Martin Straube: Natürlich „hilft“ der moderne Mann im Haushalt. Wenn seine Partnerin ihn bittet, den Mülleimer herunter zu tragen oder das Geschirr abzuräumen, dann macht er es. Wenn er wegen der Planung der Weihnachtsgeschenke für die Kinder, Eltern, Tanten und Nichten gefragt wird, wird er auch sagen, dass er mal darüber nachdenken werde.

 

 

Das ist doch schön. Warum reicht das nicht?
Der Mann nimmt damit allenfalls die Rolle eines Assistenten an. Er kommt nicht von selbst auf die Idee, den Mülleimer zu leeren und sich um die Geschenke für die Lieben zu kümmern. Er muss darum gebeten werden. In den meisten Familien und in vielen Paarbeziehungen ist es immer noch ein ungeschriebenes Gesetz, dass so etwas der Job der Frau ist. Frauen machen bis heute den Großteil der Haus-, Pflege- und Fürsorgearbeit: weltweit laut einer Oxfam-Studie zusammengerechnet 12,5 Milliarden Stunden pro Tag. Ohne Bezahlung, ohne freie Wochenenden, ohne Pause. Selbst im Urlaub kommen viele Frauen nicht zur Ruhe, weil sie die Kinder bespaßen, in der Ferienwohnung kochen und für ihren Mann eine Atmosphäre der Erholung schaffen. Auch hier ist es ihr Problem, das Familienleben zu organisieren. Der Mann hat all dies einfach nicht in seinem Bewusstsein. Aber: „Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles“ – diesen Titel hat die Autorin Laura Fröhlich ihrem Buch über dieses Phänomen gegeben (Kösel Verlag), und der stimmt.

 

Woran genau liegt es, dass Frauen unter dieser Art der „Aufgabenteilung“ leiden?
Was Frauen in der Familie, im Privatleben leisten, nimmt ihre Umgebung, überspitzt gesagt, nur dann wahr, wenn es nicht geschieht. Ihre Bitten um Hilfe werden zwar vielleicht erfüllt, aber ihr Tun ruft weder Dankbarkeit noch Anerkennung hervor. Es ist weniger die Arbeit selbst als das ständige Sich-für-alles-verantwortlich-Fühlen, das belastet. „Mental Load“ ist der Begriff, der sich seit etwa zwei Jahren für diese nicht sichtbare, nicht wertgeschätzte Denk- und Organisationsarbeit eingebürgert hat.

 

Wie wirkt sich der „Mental Load“ aus?
Die mentale Dauerbelastung ist ein sicherer Weg in ein veritables Burnout-Syndrom mit den bekannten Bestandteilen: Erschöpfung bis hin zum Empathieverlust, Desillusionierung, Versagensgefühlen und Selbstwertminderung, weil man ja „nichts Wichtiges“ tut, dem Gefühl, nicht zu genügen. Daraus resul­tieren Depression, Angst oder Panik, Schuld­gefühle, Scham oder Neid auf diejenigen, die „Wichtigeres“ tun und dafür Lob und Anerkennung erhalten. Dies zeigt sich in Frustrationsintoleranz, Launenhaftigkeit und Reizbarkeit, schließlich auch in vegetativen Symptomen wie Reizdarm, Migräne, Kreislaufbeschwerden und dergleichen.

 

Warum ist es so schwer, aus dieser Spirale wieder rauszukommen?
Wenn Frauen mit den beschriebenen Beschwerden zum Arzt gehen, versteht der das oft nicht, weil die Patientin es doch „gut hat“. Sie werden dann behandelt mit Antidepressiva, anderen Psychopharmaka oder Mitteln gegen ihre körperlichen Symptome. Vielleicht bekommt eine Frau auch eine Psychotherapie oder eine Kur verschrieben. Aber das kann nicht die Lösung sein.

 

Was ist denn gegen eine Therapie oder eine Kur einzuwenden?
Es kann ja nicht darum gehen, die Frau einfach wieder zum Funktionieren zu bringen, also dazu, wie zuvor dem Mann den Rücken frei zu halten, sich um Wäsche, Kinder und den Geburtstag der Schwiegermutter zu kümmern. Sicherlich muss dieser Frau geholfen werden. Aber bei einem Wasserrohrbruch wischt man ja auch nicht nur den Boden auf, sondern versucht, die Ursache zu finden und abzustellen. Das Problem liegt ja gar nicht in erster Linie bei der Frau!

 

Sondern beim Mann?
Genau. Beliebt ist die Entgegnung: „Hättest du doch etwas gesagt!“ Dann hätte er doch geholfen. Ja, eben: geholfen, mehr assistiert – aber nichts geändert, sondern lediglich den Zusammenbruch auf später verschoben, auf die nächste Gelegenheit, wenn die Belastung eskaliert.

 

Ich nehme mal an, eine Putzhilfe oder andere Unterstützung im Haushalt in Anspruch zu nehmen, würde an der Ursache der mentalen Belastung nichts ändern?
Die müsste die Frau ja auch managen. Aber die Dinge, die ihr am Herzen liegen – dafür  zu sorgen, dass es allen gut geht, dass alle es schön haben und ­gefördert werden, die Verantwortung für die „Magie des Alltags“ neben der beruflichen Tätigkeit, den Taxifahrten für die Kinder zur Schule und zum Sport und zum Instrumentenunterricht – die nimmt ihr niemand ab. Und das ist es, was sie krank macht. Die Rechnung geht einfach nicht auf: Zeit und Aufmerksamkeit für sich selber kann nicht ersetzt werden durch Zeit und Aufmerksamkeit für andere.

 

Was muss sich ändern?
Zunächst geht es darum zu klären, was die „Glaubenssätze“ sind, die inneren Erwartungen, die die Frau an sich selber hat. Und welche Erwartungen hat der Partner, hat die Umgebung? Stimmt es, dass Mütter immer Zeit haben, immer geduldig sind, nie schimpfen, für alles sorgen, dabei attraktiv bleiben und großartige Feste organisieren und dafür Sorge tragen, dass keine Langeweile aufkommt? Hier gilt es, Inventur zu betreiben – und dann in eine gute Kommunikation zu kommen.

 

Mit welchem Ziel?
Es geht um das Finden von Identität: nicht auf Kosten anderer, sondern im Konsens. Aber erst muss das Problem von allen Beteiligten verstanden werden, denn es liegt nicht auf der Hand. Und da kommen auch die Männer ins Spiel. Sie müssen erkennen, dass sie ihrer Partnerin ein Dasein abseits von Identitätserleben nicht zumuten können, weil es sie krank macht. Auch die Männer können ja vom gemeinsamen Leben nicht erwarten, dass die Selbstverwirklichung des einen mit einer Erkrankung des anderen erkauft wird.

 

Was können beide Partner tun?
Es gilt, Erwartungen, die man für sich, an den anderen, die übrigen Familienmitglieder und an die Gemeinsamkeit hat, zu erforschen: Erwartungen an Lebensqualität, an den Perfektionismus dessen, was zu tun ist, Erwartungen an Freiräume, Erwartungen an gemeinsam verbrachte Zeit und Erlebnisse.

 

Aber das allein beseitigt den „Mental Load“ nicht.
Es werden nicht alle Erwartungen in vollem Umfang erfüllt werden können. Aber sobald man sich darüber klar geworden ist, kann man schauen, was wichtiger ist als anderes. Das erfordert Geduld, denn es gelingt nicht auf die Schnelle. Aber einander in den gegenseitigen Erwartungen wahrzunehmen ist ein erster Schritt. Sich auszusprechen und dem anderen zuzuhören, sich für den anderen zu interessieren ist eine Basis von Partnerschaft.

 

Sie empfehlen mehr Neugier auf den Partner, die Partnerin?
Viele Paare glauben, sie hätten sich vor einigen Jahren, zu Beginn der Beziehung kennengelernt. Das stimmt. Aber tun sie das auch heute noch? Mit der Zeit schleicht sich die Routine ein, die Überzeugung: „Wenn ich das oder jenes sage, weiß ich schon, was der andere antworten würde – also brauche ich es nicht zu sagen“. Schon ist eine Gelegenheit verpasst, sich neu kennen zu lernen.

 

Identität ist also ein Phänomen, das sich mit der Zeit, im Lauf des Leben wandelt?
Als Kinder wollten doch viele von uns Bonbonverkäufer oder Weltraumfahrer werden. Und wer ist es geworden? Es ist eine Illusion zu glauben, dass, wenn die Kinderschuhe ausgezogen sind, unsere Identitätsmuster, Erwartungen an das Leben, unsere Träume, Bedürfnisse und Ziele als Konstanten in unserem Leben bestehen. Sie wandeln sich. Nach zehn Jahren ist niemand mehr mit dem Menschen verheiratet, in den er sich einstmals verliebt hat: man selber und der andere entwickelt und verändert sich. Wer glaubt, einander einmal kennen­gelernt zu haben, genüge für ein ganzes Leben, irrt gewaltig. Die gemeinsame Kommunikation und die Neugier auf den anderen sind essenziell, um zu verhindern, dass die Beziehung zu Lasten der Frau geht.

Das Gespräch führte Julia Schröder

 

Diesen Beitrag finden Sie in Ausgabe 2/2021