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Was macht einen guten Psychotherapeuten aus?

Die Zahl der Menschen auf der Suche psychologischer Hilfe ist seit Corona steil angestiegen. Umso dringlicher stellt sich die Frage, wie im Dschungel der Angebote eine qualifizierte Unterstützung gefunden werden kann. Wir sprachen dazu mit der Psychotherapeutin Dr. Diana Pflichthofer.

Dr. med. Diana Pflichthofer

Die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ist als Psychoanalytikerin und Gruppenanalytikerin mit eigener Praxis in Soltau bei Hamburg tätig. Neben dieser Arbeit und ihrer Lehrtätigkeit hat Dr. Diana Pflichthofer mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt „Die Psychoindustrie“ (Goldegg Verlag).

Depressionen, psychische Erschöpfung, Burnout und Angststörungen betreffen immer mehr vor allem auch junge Leute, die viel in den sozialen Medien unterwegs sind. Im Netz treffen sie auf vielfältige Angebote, und nicht alle sind fundiert, auch wenn sie mit ihren Heilsversprechen tausende Follower für sich einnehmen. Hier lauert nicht nur die Gefahr, dass man viel Geld für oberflächliche, nicht individuelle Behandlungen loswird. Unseriöse Behandlungsmethoden können eine seelische Erkrankung sogar verschlimmern. Dr. Diana Pflichthofer, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, kritisiert in ihrem aktuellen Buch „Die Psycho­industrie“ solche Missstände und hebt die Bedeutung eines professionellen Umgangs mit psychischen Erkrankungen hervor.

natürlich gesund und munter: Frau Dr. Pflichthofer, was war der Anlass für Sie, mit Ihrer harschen Kritik an der Behandlung psychischer Erkrankungen an die Öffentlichkeit zu treten?

Dr. Diana Pflichthofer: Zunächst möchte ich betonen, dass ich eher keine Kritik an meinem Berufsfeld übe, sondern es vielmehr abgrenzen möchte von denen, die sich dort quasi hineingleiten lassen. Mir ist es wichtig, die ausgebildeten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten deutlich von – sagen wir – Laientherapeuten zu unterscheiden. In meiner täglichen Praxis und auch in Gesprächen im Kollegenkreis erlebe ich immer häufiger, dass Hilfesuchende, wenn sie von ihren Erlebnissen mit nicht fundiert ausgebildeten Therapeuten berichten, Herangehensweisen schildern, die unter professionellen Gesichtspunkten so gar nicht gehen. Diese „Therapien“ unterliegen oft gar keiner Kontrolle.

Was meinen Sie mit „nicht fundiert ausgebildet“?

Bei der Suche nach einem geeigneten Therapeuten sollte man sich als Betroffener fragen: Was suche ich denn eigentlich? Suche ich vielleicht nur einen Gesprächspartner, um mich mal zu entlasten? Das kann auch mal jemand mit einer „kleinen“ Ausbildung leisten. Wenn ich aber eine richtige Therapie suche, dann gibt es für eine adäquate Behandlung Therapeuten mit einer qualifizierten Ausbildung unter regelmäßiger Supervision. Das sind approbierte Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die in einem der vier Richtlinienverfahren ausgebildet sind: Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie oder Systemische Therapie. Nach alter Gesetzgebung sind auch Pädagogen und Sozialpädagogen im Bereich der Kinder- und Jugendtherapie zugelassen. Wer all das nicht aufweisen kann, ist eher nicht fundiert ausgebildet.

Ein gut ausgebildeter Therapeut bietet aber nicht unbedingt die Garantie für eine erfolgreiche Behandlung. Gehört dazu nicht ebenso sehr eine gute Verbindung zum Patienten, der sich verstanden fühlen will?

In der Regel gibt es zunächst vier Erstgespräche bei einem Therapeuten oder einer Therapeutin, die sogenannten probatorischen Sitzungen. Als Hilfesuchender spürt man dabei schnell, ob man das Gefühl hat, gehört zu werden, ob man miteinander arbeiten möchte. Eine gewisse Abgrenzung wird immer da sein – ein Therapeut kann nicht Mutter, Vater oder beste Freundin ersetzen und soll das auch gar nicht leisten. Ganz wichtig: am Beginn der Sitzungen steht eine gute Anamnese!

Wie sollte eine umfassende Anamnese zu Beginn der Therapie aussehen?

Bei mir in der Praxis geht das so: Der Patient erzählt erstmal von seinen Problemen und seine Lebensgeschichte. Anhand dessen, was er erzählt, wie er es erzählt, welche Probleme er hat und welche Verknüpfungen es gibt, erstelle ich dann eine „psychodynamische Hypothese“. Sie enthält, welche Beziehungserfahrungen jemand in seinem Leben gemacht und wie er sie verarbeitet hat. Davon teile ich dem Patienten in den Vorgesprächen etwas mit, also zum Beispiel, „Ihr Vater war oft weg und ich habe den Eindruck, das ist immer noch ein großes Thema für Sie“, und bespreche mit ihm, welchen Fokus wir in der Therapie legen. Aber wenn der Patient weiter in die Praxis kommt, überlasse ich ihm das Feld, er kann also über alles erzählen, was ihn gerade beschäftigt. In den psychodynamischen Therapien sprechen wir hier von „freier Assoziation“ oder der therapeutischen „Grundregel“: Man darf und soll alles sagen, was einem durch den Kopf geht. Wir Therapeuten gehen davon aus, dass dies alles auch mit seiner Erkrankung zu tun hat. Wenn ich dann das Gefühl habe, etwas verstanden zu haben, biete ich eine Interpretation an, die der Patient annehmen kann. Meist passiert das auch.

Wie geht es dann weiter?

Es kann sein, dass sich der Patient erstmal wie „ertappt“ fühlt, weil ich ja etwas anspreche, das bis dahin unbewusst war.  Dieses Gefühl kann aber auch in Erleichterung übergehen, darüber, endlich verstanden zu werden. Das sind dann so glückliche Schlüsselmomente der Begegnung zwischen Patient und Therapeut, wo etwas wirklich in der Tiefe verstanden wird. Der bekannte US-amerikanische Analytiker Daniel Stern spricht von „now moments“. So kann auch eine Entwicklung, die ins Stocken geraten ist, wieder weitergehen.

Manche Therapeuten lassen Patienten vor der Behandlung digitale Fragebögen ausfüllen. Was halten Sie davon?

Davon halte ich nicht viel. Es ist so wichtig, dass der Patient mir gegenübersitzt und seine Lebensgeschichte erzählt, nur so bekomme ich als Therapeutin mit, was derjenige gerade erlebt und was er fühlt. Und nur so kann ich auch spontan und empathisch reagieren. Um jemanden einzuordnen, brauche ich den Menschen gegenüber: Wie er spricht, wo er Pausen macht, wie emotional er mitgeht. Diese digitale Fragebogennummer ist eine ganz andere Form der Anamneseerhebung, durch die aus meiner Sicht viele Zwischentöne verloren gehen. Außerdem ist der Patient dann mit den Fragen allein. Stellen Sie sich vor: Dort wird nach den Eltern gefragt, und der Patient muss ausfüllen, dass seine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sind. Dann ist er mit dieser Erinnerung – wieder – allein. Ich habe schon oft von Patienten gehört, dass sie diese langen Fragebögen als sehr belastend empfinden.

>> Wie finde ich einen qualifizierten Psychotherapeuten?

Therapeuten finden Sie über die Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung www.dptv.de, über die Kassenärztliche Vereinigung oder die Ärztekammer des jeweiligen Bundeslandes, zum Beispiel www.arztsuche-bw.de oder www.arztauskunft-niedersachsen.de/ases-kvn oder https://arzt.bayern/

Im Werdegang eines seriösen Psychotherapeuten sollte stehen: „Approbierter Psychotherapeut“ oder „Fachärztin für Psychotherapie“. Dies sind Diplom-Psychologen, also Psychologische Psychotherapeuten, oder ärztliche Psychotherapeuten: Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, für Psychiatrie und Psychotherapie oder andere Fachärzte mit einem entsprechenden Zusatztitel. Ebenfalls sollte aufgeführt sein, in welchem der vier Richtlinienverfahren die Ausbildung erfolgt ist: in systemischer Therapie, tiefenpsychologisch fundierter Therapie, Psychoanalyse oder Verhaltenstherapie.

>> Was bezahlt die Krankenkasse?

Die Kosten für eine Psychotherapie werden von den gesetzlichen und privaten Krankenkassen übernommen. Eine psychotherapeutische Sprechstunde geht der Therapie voraus. Sie dient der Indikationsstellung, der Klärung, ob eine seelische Erkrankung vorliegt und eine Therapie notwendig ist. Eine Überweisung ist nicht erforderlich, es reicht, die Versichertenkarte vorzulegen. An die Sprechstunde schließen sich in der Regel die probatorischen Sitzungen an, und je nach Indikation kann eine stationäre Behandlung erfolgen oder eine Akut-, Kurzzeit- oder Langzeittherapie.

Die Terminvergabe erfolgt direkt beim Therapeuten oder über die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigungen (rund um die Uhr erreichbar unter Tel. 116117 oder über www.116117.de). Weitere Formalitäten zur Beantragung der eigentlichen Therapie werden direkt mit dem Therapeuten vor Ort bearbeitet.

>> Was tun, wenn ich keinen Therapieplatz bekomme?

Wenn Sie zeitnah keinen Platz bei einem Therapeuten mit Kassenzulassung bekommen, gibt es die Möglichkeit, zu privaten approbierten Psychotherapeuten zu gehen und die Kosten von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet zu bekommen. Dazu nehmen Sie vorher mit Ihrer Krankenkasse Kontakt auf. In der Regel werden Sie dabei zunächst auf die psychotherapeutische Sprechstunde verwiesen, wo Sie das Formular PTV11 erhalten, das der Krankenkasse vorgelegt werden muss. Mehr Informationen zur Psychotherapie als Krankenkassenleistung gibt es auf der Homepage der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung www.dptv.de

Welche Möglichkeiten habe ich als Patient, wenn ich den Eindruck habe, dass die Therapie in eine falsche Richtung geht, dass ich missverstanden oder auch zu schnell „etikettiert“ werde? Kann ich das ansprechen?

Auf jeden Fall, das sollte man sogar unbedingt! Wenn man am Anfang zum Beispiel eine große Sympathie zum Therapeuten verspürt, irgendwann aber feststellt, dass man plötzlich so ein Abstandsgefühl hat, ist das ganz normal. Sigmund Freud hat die Anfangsphase als „Flitterwochen“ bezeichnet. Nach einiger Zeit wird diese Anfangsidealisierung abgebaut, das ist wie bei Kind und Eltern. Das kann auch ins Gegenteil kippen, dann kommt es vielleicht zu Aussagen wie „Sie wollen mich doch gar nicht hierhaben“, „Sie haben letztes Mal so komisch geguckt“ oder „Was Sie mir letztes Mal gesagt haben, hat mich sehr verletzt“ et cetera, da geht es teilweise hoch her! Es ist wichtig, dass ich als Therapeutin all diese Eindrücke und eben auch Zuschreibungen erst einmal annehme. Wir nennen das „Arbeiten in der Übertragung“. Daraus können sich für den Patienten ganz neue Beziehungserfahrungen entwickeln.

In Ihrem Buch kritisieren Sie die wachsende Zahl von Psychotherapeuten, die mit „Manuals“ arbeiten. Was haben Sie dagegen?

Manuals sind eine Art Handbücher, die die therapeutische Arbeit erleichtern sollen. Dazu geben sie ein gewisses Schema, einen Behandlungsablaufplan vor, eine Anleitung, wie man in den verschiedenen Therapiephasen vorgeht. Es gibt in der Praxis auch gute erprobte Manuals. Aber oft wird mit dem Ausdruck suggeriert, man könnte einen Menschen behandeln, indem man ein bestimmtes Programm abarbeitet. Und daran habe ich so meine Zweifel.

Betroffene informieren sich heutzutage auch im Netz über psychologische Themen. In Podcasts und auf Youtube sind Begriffe wie „toxisch, Trigger, bindungsunfähig“ allgegenwärtig. Sie schreiben von „Psychotainment“ – was meinen Sie damit?

Zunächst einmal eine Mischung aus Psychologie und Entertainment, zum Beispiel Shows, die mit psychologischen Phänomenen humorvoll unterhalten wollen. So weit finde ich das auch in Ordnung. Es wird dann kritisch, wenn man als Anbieter nicht deutlich sagt, dass es um Unterhaltung geht, und es dann doch in Pseudo-Therapie abdriften lässt. Das kann nicht funktionieren, weil es gar keinen richtigen Rahmen, kein richtiges Setting gibt. So geht uns zum Beispiel, wenn wir in einer großen Gruppe sind, oft die Differenzierungsfähigkeit verloren.  Denken Sie an ein Fußballstadion.  Plötzlich gibt es scheinbar nur noch „gut“ oder „böse“. Große Gruppen verunsichern uns, wir geraten in etwas, das wir „Regression“ nennen, werden ganz kindlich und aktivieren kindliche Wünsche. Bei einer Bühnenshow fängt dann der Zuschauer eventuell auch an, eigene Wünsche und Sehnsüchte auf die Person da vorn zu übertragen, das heißt, sie zu idealisieren und ihr „Heilungsmächte“ zuzuschreiben, die sie nicht hat.

Im Internet werden oft verschiedene psychotherapeutische Ansätze zusammengeworfen – Sie nennen das die „Verramschung wissenschaftlicher therapeutischer Konzepte“. Woran machen Sie das fest?

Beispielsweise an solchen populären Begriffen wie „Trigger“ – plötzlich wird man überall „angetriggert“, und ich weiß gar nicht, was das überhaupt sein soll! Auch „Trauma“ und „Depression“ wird verramscht, und jeder, der nur eine Woche lang traurig ist, ist plötzlich depressiv. All diese Begriffe werden inflationär verwendet und dabei ihres gesamten Kontextes entkleidet. Etwa wenn der populäre Begriff „das innere Kind“, der eine Metapher ist, einfach so aus dem Zusammenhang herausgenommen wird. Die mediale „Anleitung“, wie solche Problematiken behandelt werden können, wirkt nur oberflächlich und kurzfristig. Aber für eine wirklich heilsame Therapie braucht es weit mehr, nämlich eine therapeutische Behandlung, die ganz individuell auf jeden einzelnen zugeschnitten ist. Denn es gibt nun mal keine pauschalen Rezepte, jeder Mensch ist einzigartig und hat seine Historie.

Was ist falsch am psychologischen Ansatz des „inneren Kindes“?

Der Begriff „inneres Kind“ ist ein bildlicher Vergleich, eine Vorstellung davon, wie ich als Kind war, welche Bedürfnisse ich hatte, und zwar aus der Perspektive des jetzigen Erwachsenen. Da mischen sich also ganz viele über Jahrzehnte angehäufte Gedanken und Erlebnisse über das eigene Sein und die Eltern mit hinein. Und es ist eben nicht so, dass das innere Kind, das ich mir heute vorstelle, das reale innere Kind von damals ist. Man kann also nicht so tun, als könnte man heute diesem realen inneren Kind von damals begegnen, es nochmal trösten, und dann ist wieder alles gut. Das kann ein erster Schritt sein, Anerkennung zu erfahren für das, was einem einmal angetan wurde. Aber der therapeutische Prozess muss viel weiter gehen. Wenn Sie als Kind traumatisiert wurden, funktioniert so eine oberflächliche Therapie oder die Lektüre von Büchern nicht.

Was muss stattdessen geschehen?

Wenn Sie in einer Therapie die Gefühle von damals wieder beleben, brauchen Sie ein empathisches Gegenüber, das aus therapeutischer Sicht immer so abgegrenzt sein sollte, dass es weiß, die Geschichte von damals kann nicht neu geschrieben werden. Wenn sie in einer Lebensphase etwas verloren haben, das ihnen zugestanden hätte, zum Beispiel ein beschütztes, behütetes Kind zu sein, müssen Sie durch einen Trauerprozess gehen, um sich zu lösen und von diesem Verlust einer guten Kindheit Abschied zu nehmen. Es ist so, wie wenn Sie einen Menschen verloren haben. Den können sie auch nicht wieder zum Leben erwecken. In einem nächsten Schritt können Sie dann gucken, was kann ich jetzt, 20, 30 oder 40 Jahre später anders machen? Wie kann ich zu mir eine bessere Beziehung haben als meine Eltern zu mir hatten? Wie kann ich gut zu mir sein? Das ist die Stelle, wo man sich trennt von Theorien, die man über sich hatte, also zum Beispiel von der Theorie „Ja, ich verdiene es nicht, gut behandelt zu werden!“. Sie können in der Therapie lernen, etwas für sich zu tun oder sich Menschen zuzuwenden, die gut für Sie sind, und nicht immer wieder an die gleichen geraten, die nicht gut für Sie sind. Das sind sehr komplexe Zusammenhänge, also viel komplexer als die Botschaften „Ach du armes inneres Kind. Du bist ein Schattenkind. Ich lege dir die Hand auf meine Schulter.“ Das ist dann zwar ein Akt von Anerkennung, der ohne Zweifel auch wirksam sein kann, aber nicht heilsam auf Dauer.

Bei einer individuellen therapeutischen Hilfe zur Heilung führt also kein Weg an einem qualifizierten Therapeuten vorbei?

Ja, so ist es. Denn was man in einer langen Ausbildung und in der anschließenden Praxis gelernt und angewandt hat, ist fundiert und zugleich praxisorientiert und kann definitiv nicht mit Laien-Weiterbildungen gleichgestellt werden. / Das Gespräch führten Dr. Frieder Stein und Monika Hopfensitz  

Diesen Beitrag lesen Sie in unserem Magazin natürlich gesund und munter 01/2025

Foto: Roman Matejov